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Kommentar

Ein Jahr Mindestlohn: Der Druck auf die Gemüsebaubetriebe und auf die Arbeitskräfte steigt

Seit mehr als einem Jahr gilt der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 €/ Akh in Deutschland. Für Gartenbau und Landwirtschaft wurde mit dem als allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag eine Übergangsregelung geschaffen, durch die in den Jahren 2015 und 2016 gegenüber anderen Branchen zunächst ein niedrigeres Mindestentgelt gezahlt werden kann, das 2017 auf 8,60 € und ab 1. November 2017 auf 9,10 € angehoben wird.

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Als besonders arbeitsintensive Branche mit einem bisherigen Lohnniveau, das häufig unter dem nun geltenden Mindestlohn lag, ist der Gemüsebau von der Einführung des Mindestlohns stark betroffen. Wie entwickelten sich die Löhne im ersten Jahr des Mindestlohns? Wie sind die Wirkungen auf die Produktionskosten? Welche praktischen Herausforderungen ergeben sich aus der Umsetzung der neuen Regelungen für die Betriebe?

Diese Fragen wurden im Rahmen einer Studie des Thünen-Instituts für Betriebswirtschaft 334 Betriebsleiterinnen und Betriebsleitern in Gartenbau und Landwirtschaft gestellt. Zudem wurden in Fallstudien zu erwartende Veränderungen der Produktionskosten für typische Produktionssysteme von Spargel und Erdbeeren berechnet. Wie die Ergebnisse zeigen, sind die Löhne deutlich angestiegen. Besonders die Saison- Arbeitskräfte (SAK), die vor allem für die Ernte eingesetzt werden, erhielten bereits 2015 im Vergleich zu 2014 durchschnittlich 11% höhere Stundenlöhne. Aber auch die Arbeitskräfte, deren Löhne zuvor schon über dem Mindestlohnniveau lagen, profitierten von Erhöhungen, die zur Erhaltung eines leistungsgerechten Lohngefüges in vielen Betrieben nötig wurden. Dieses Szenario führt zu einem deutlichen Anstieg der Produktionskosten: Während 2015 durch eine verstärkte Mechanisierung der Ernte der Kostenanstieg noch bei „nur“ rund 5% lag, steigen die Produktionskosten in den nächsten Jahren durch weitere Lohnerhöhungen je nach Ausgangslage zwischen 16% (alte Bundesländer) und 24% (neue Bundesländer) im Vergleich zu 2014.

Viele BetriebsleiterInnen sehen sich dadurch in Existenznöte gebracht: „Durch den Mindestlohn sehe ich die Weiterführung des Betriebs gefährdet, da höhere Kosten am Markt nicht ausgeglichen werden. Mein Sohn wird sich wahrscheinlich beruflich anders orientieren.“ Im Wettbewerb mit Erzeugern besonders in Osteuropa sehen deutsche Chefs wenige Chancen, die Mehrkosten durch höhere Preise am Markt zu kompensieren. Folglich gaben fast die Hälfte der Betriebsleiter in der Umfrage an, die Anbauflächen abeitsintensiver Gemüsearten zukünftig reduzieren zu wollen.

War es das? Nein: Das in der Befragung am häufigsten genannte Problem bei der Umsetzung des Mindestlohns ist der gestiegene Bürokratieaufwand durch die Dokumentationspflichten. Dies stellt besonders in kleinen Betrieben ohne Bürofachkräfte eine große zusätzliche Belastung dar, wie in der Zeitschrift »Gemüse« bereits wiederholt dargestellt wurde. Auch die Anforderungen des Arbeitszeitgesetzes sind für die Betriebe schwer einzuhalten: Die fehlende Flexibilität während der Erntesaison kann zu Verlusten führen und stößt auch bei den SAK auf Unverständnis, die gern möglichst viel arbeiten und Geld verdienen möchten.

Wen erstaunt es, dass die Umfrage die Konsequenz des Mindestlohns bestätigt, mit leistungsschwächeren Arbeitskräften anders verfahren zu müssen? Mehr als 40% der Befragten entließen 2015 auf Grund des Mindestlohns vermehrt SAK vorzeitig und über 50% stellen zukünftig bei der Auswahl höhere Anforderungen. Der Spielraum für finanzielle Leistungsanreize ist kleiner geworden. Die Zusage für eine Einstellung im nächsten Jahr wird als Leistungsanreiz und Sanktion genutzt. Verstärkte Mechanisierung steht der Begrenzung des Anstiegs der Lohnkosten entgegen.

Zieht man ein Fazit, führte die Etablierung des Mindestlohns zu einem politisch erwünschten höheren Lohnniveau. Dennoch erzeugen die steigenden Lohnkosten einen ständig zunehmenden Druck – auf die Betriebe im internationalen Wettbewerb und auf die ArbeitnehmerInnen, die höheren Leistungsanforderungen ausgesetzt sind. Die Existenz kleiner Betriebe ist bei weiterem Lohnanstieg in Gefahr. Es wird jedoch sicher möglich sein, dass Verbände und Politik flexiblere und somit praktikable Lösungen beim Bürokratieaufwand und der Auslegung des Arbeitszeitgesetzes finden. Hinsichtlich wachsender Produktionskosten hat der Handel seinen Part bei der Preisgestaltung zu erfüllen. Die Vermarkter sollten ein Interesse haben, den Verbrauchern weiter frisches Gemüse aus deutscher Produktion anzubieten!

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