„Das Corona der Tomaten“
Seit 2014 breitet sich das Tomato Brown Rugose Fruit Virus (ToBRFV), auch Jordan-Virus genannt, im Gemüsebau aus. Mit schwerwiegenden Folgen für die Betriebe. Wir haben mit Peter Schaich vom Saatgutzüchter Enza Zaden über den aktuellen Stand bei der Resistenzzüchtung gesprochen.
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»Gemüse«: Vielleicht können Sie uns zum Einstieg noch einmal kurz ToBRFV beziehungsweise das Jordan-Virus kurz beschreiben und erklären, was es für den Gemüsebau so gefährlich macht.
Peter Schaich: Ich bezeichne das Jordan-Virus immer als das Corona der Tomaten, weil es im schlimmsten Fall die Kultur wirtschaftlich unrentabel machen kann, sodass man sie abbrechen muss. Das entspricht einem Totalverlust. Meistens beginnt es mit ersten Symptomen an den Blättern im Kopfbereich, an denen man marmorierte Strukturen sieht. Die Blätter werden etwas kürzer. Im weiteren Verlauf kommt es zu Ausfärbungsproblemen an den Früchten bis hin zu braunen Stellen, sodass die Früchte nicht mehr vermarktungsfähig sind. Auch die Kelchblätter sind dann manchmal betroffen und werden braun.
Zudem ist das Virus hoch ansteckend. Es gibt eine Vielzahl an Übertragungsmöglichkeiten, auch das Saatgut ist dabei übrigens nicht ausgeschlossen. Es kann über Hummeln und jede Art von mechanischer Berührung übertragen werden, beispielsweise mit Messern und Scheren, aber auch über den Saft, der über die haarigen Blätter am vorbeistreifenden Körper haften bleibt. Ein weiterer Übertragungsweg sind nicht desinfizierte Erntekisten, in denen infizierte Tomaten transportiert wurden. Auch über Tabak, mit dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Zigaretten selbst drehen, in Kontakt kommen, kann ein Überträger des Virus sein.
»Gemüse«: Seit wann forschen Sie an Tomatensorten, die gegen das ToBRFV resistent sind?
Peter Schaich: Das Virus ist 2014 zum ersten Mal aufgetreten. Wir haben dann relativ schnell begonnen, über Gensequenzierung nach einer Resistenz zu suchen. Und wir sind fündig geworden. Alle Sorten, die jetzt von uns auf den Markt kommen, haben die höchste Resitenzstufe HR.
»Gemüse«: Wann kamen die ersten resistenten Sorten auf den Markt?
Peter Schaich: Kommerzielle Sorten gibt es erst seit diesem Jahr. Aber wir haben bereits 2019 mit ersten kleineren Anbauversuchen begonnen. In der aktuellen Anbausaison hatten wir mehr als 300 Versuche, um zu testen wie die Resistenz hält und wie sich die Sorten in der Praxis bewähren.
»Gemüse«: Wo stehen Sie aktuell mit Ihrer Züchtungsarbeit?
Peter Schaich: Seit wenigen Wochen haben wir die ersten Sorten im Verkauf. Beim Sunstream-Typ haben wir zwei Sorten für Europa im Angebot. Die eine Sorte ist identisch mit der bekannten Sunstream, die andere ist ein klein wenig größer, etwa vier bis fünf Gramm schwerer. Im Snackbecher-Bereich haben wir ebenfalls ab sofort zwei neue Sorten zur Verfügung und bei den Rispentomaten haben wir uns kürzlich dazu entschlossen, mit nur einer Sorte kommerziell zu gehen. Eine weitere Sorte konnte in Sachen Fruchtfestigkeit am Ende doch nicht überzeugen. In den Niederlanden und Belgien stehen darüber hinaus noch einige andere Sorten in einem größeren Gewichtssortiment zur Vefügung. Wir müssen aber auch klar sagen, dass wir aktuell noch nicht die komplette Nachfrage des Marktes bedienen können.
»Gemüse«: Wann denken Sie, dass Sie Saatgut für die breite Masse anbieten können?
Peter Schaich: Es ist natürlich nicht so, dass wir nur Saatgut für fünf Hektar haben. Aber den ganzen europäischen Markt können wir aktuell noch nicht bedienen. Ich denke, dass wir im Spätsommer 2023 voll lieferfähig sein werden, im Snack-Segment ab Mai 2023.
»Gemüse«: Bei ToBRFV handelt es sich ja um eine meldepflichtige Erkrankung. Wie sieht aktuell die Befallssituation in Deutschland aus?
Peter Schaich: Aktuell gibt es nur vereinzelte gemeldete Fälle. Ich persönlich würde es gut finden, wenn alle betroffenen Betriebe eine Infektion melden würden. Denn dann weiß man, wie man damit umzugehen hat. Beispielsweise involvierte Packbetriebe könnten entsprechende Maßnahmen treffen. Das Virus ist ja „nur noch“ meldepflichtig. Bis zum 31. Dezember 2021 handelte es sich ja noch um einen Quarantäneerreger, bei dem Ware gesperrt und vom Verkauf ausgeschlossen werden konnte. Seit 1. Januar ist die Situation deutlich entspannter.
»Gemüse«: Die Ware kann also vermarktet werden, wenn sie vom Handelspartner abgenommen wird?
Peter Schaich: Genau. Und deshalb denke ich, dass man das durchaus melden könnte, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Das macht es für Partnerbetriebe deutlich einfacher Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.
»Gemüse«: Das Jordan-Virus hat in den vergangenen Jahren viel Züchtungsressourcen beansprucht. Gibt es trotzdem etwas, an dem Sie aktuell arbeiten?
Peter Schaich: Für uns steht natürlich immer der Geschmack ganz oben, den wir ständig zu verbessern versuchen. In den vergangenen Jahren sind aber auch neuere Themen hochgekommen, wie Energie, Arbeit und Müllreduzierung. Wobei wir mit Müllreduzierung meinen, dass die Qualität der Trosse besser wird, sodass der Anteil der vermarktbaren Ware steigt.
»Gemüse«: Sie haben das Thema Energie angesprochen. Wie sieht es angesichts der Energiekrise mit kühlerer Kulturführung aus?
Peter Schaich: Die Züchtung ist natürlich ein langer Prozess und wir haben uns zu diesem Thema erst vor ein paar Jahren erste Gedanken gemacht. Wir schauen natürlich schon, wie flexibel eine Sorte auf reduizierte Temperaturen reagiert. Das sind Themen, die für die Zukunft nun deutlich höhere Priorität haben. Aber man muss auch ganz klar sagen, dass man im Hinblick auf einen Züchtungszyklus von zehn Jahren, die Energiekrise dieses Jahr nicht lösen kann. Und wer weiß, wie wir künftig Energie beziehen werden, welche Fortschritte nachhaltige Energietechniken in den nächsten Jahren machen werden. Dann wird das Thema wieder in den Hintergrund rücken.
»Gemüse«: Gibt es neben dem ToBRFV noch weitere aktuelle Probleme im Fruchtgemüseanbau?
Peter Schaich: Bei Gurken ist bereits im zweiten Jahr in Folge großflächig ein neues Virus aufgetreten, das CABYV-Virus, das große Probleme in der Praxis macht. Betroffen sind alle Gurkengewächse. Der „Vorteil“ dieses Virus ist, dass es nur durch Läuse übertragen wird und nicht über beispielsweise Transportkisten oder sonstigen Kontakt.
»Gemüse«: Welche Auswirkungen hat das Virus auf die Vermarktbarkeit der Früchte?
Peter Schaich: Die Blätter werden zunächst gelb und brechen zusammen. Dadurch findet keine Assimilation mehr statt. Die Pflanze kann sich nicht mehr am Leben erhalten und stirbt ab. Die Früchte, die bis zu diesem Zeitpunkt ausgereift sind, können noch geerntet und vermarktet werden. Die einzige Maßnahme, die hilft, ist die Läuse aus dem Bestand fern zu halten. Moderne Gewächshäuser sind bereits mit Netzen in der Lüftug ausgestattet, um generell Schaderreger fernzuhalten. Für ältere Betriebe ist es möglich, solche Netze ebenfalls nachzurüsten, ich verringere dadurch allerdings auch die Ventilationsleistung des Gewächshauses. Bei diesem Virus ist also schon die nächste Herausforderung für uns Saatgutunternehmen da, eine Resistenz zu finden und diese einzukreuzen. Meinen Züchterkollegen wird es also nicht langweilig.
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