Zwischen Kindern, Hühnern und Salatköpfen
„2021 war ein intensiver Sommer“, erinnert sich Marie Owens. Damals hat sie zwei neue Betriebszweige auf dem Hof ihrer Eltern etabliert: eine Gemüsegärtnerei und einen Bauernhofkindergarten.
von Caroline Wörner erschienen am 12.08.2025Der Tiggeshof im Sauerland – das sind 50 Rinder, 100 Hühner, eine Gemüsegärtnerei und 20 Kinder, die im Bauernhofkindergarten herumspringen. Mitten im Gewusel steht Marie Owens: Landwirtin, Pädagogin und Initiatorin des Kindergartens auf dem Tiggeshof. Den ehemaligen Milchviehbetrieb hat die 33-Jährige im Jahr 2021 mit gleich zwei weiteren Betriebszweigen neu aufgestellt: Sie hat eine Gemüsegärtnerei nach dem Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft aufgebaut und einen Bauernhofkindergarten gegründet.
Früh übt sich
Bis die ersten Kinder in dem abgezäunten Areal herumtollen konnten, war es ein langer Weg – zwölf Jahre von der Idee bis zur Eröffnung des Kindergartens. 2008, da war Marie 16 Jahre alt, fing sie an, sich mit Kindergeburtstagen auf dem Bauernhof etwas dazuzuverdienen. Gemeinsam mit ihrer Mutter entwickelte sie die Idee für einen Bauernhofkindergarten. Es hat viele Jahre gebraucht, um Behörden wie die Stadtverwaltung und das Jugendamt von dem Projekt zu überzeugen und den Hof „kinderfit“ zu machen. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Nester der Hühner auf Kinderhöhe angebracht sind, sodass sie selbst die Eier einsammeln können oder dass es Besen, Schippen und Schubkarren gibt, welche die Kinder benutzen können. 2021 war es dann endlich soweit – eine Gruppe mit 20 Kindern ab drei Jahren ist in den Bauwagen und den Draußen-Kindergarten eingezogen.
Marie hat ihre eigene Kindheit auf dem Bauernhof ihrer Eltern verbracht – und genau das wollte sie anderen Kindern ermöglichen, deren Eltern keinen Hof haben. „Wir wollten, dass es Kinder gibt, die jeden Tag hier herkommen und quasi eine Bauernhofkindheit haben“, sagt Marie. Frei sein, laut sein, wild sein. Das alles ist im Bauernhofkindergarten auf dem Tiggeshof möglich. Außerdem Hühner kuscheln, Ziegen füttern und Gemüse ernten. „Mithelfen, das ist voll der Renner. Wenn in der Gärtnerei etwas geschossen ist und blüht dürfen die Kinder das rausrupfen und es auf einen großen Haufen werfen – das machen sie total gerne. Und natürlich ernten“, weiß Marie.
1Immer wieder trifft sie auf erstaunte Gesichter und die Frage: „Wie, die Kinder sind den ganzen Tag draußen?“ Dem entgegnet Marie, dass sie selbst als Landwirtin ja auch den ganzen Tag draußen verbringt und ihr das guttut. „Wir merken, dass viele Kinder das wirklich brauchen, draußen zu sein“, sagt die Pädagogin. Jede Jahreszeit bietet unterschiedliche Highlights. „Im Sommer sind wir viel unterwegs, sind am Waldrand, am Bach oder picknicken. Im Winter gibt es dafür tolle Schneetage“, erzählt Marie.
Den Bauernhof kindertauglich machen
Und für die Regentage gibt es den Bauwagen. Passen denn die Kinder da alle rein? Kuschelig wird es dann schon und laut, aber der Bauwagen bietet genug Platz für die 20 Kinder und die Erzieherinnen. Hergestellt ist er von der Firma Finkota, die auf Bauwagen für Kinderwagen spezialisiert ist. Von abgerundeten Ecken, über Fingerklemmschutz an den Türen und spezielle Abstände der Stangen am Treppengeländer, wurde an alles gedacht. „So war das mit dem Bauwagen überhaupt kein Problem bei der Genehmigung.
Selbst etwas zu bauen, das würde ich gar nicht erst versuchen“, lautet Maries Tipp. Eine Investition in Höhe von 100.000 Euro – deutlich günstiger für die Stadt, als ein neues Gebäude für einen Kindergarten zu bauen, denn der Bedarf für Kindergartenplätze war da. Immer mit am Tisch: der Kindergarten-Träger „KitaNatura“. Deutschlandweit betreibt der Träger Bauernhofkindergärten und steht den Betrieben beratend zur Seite. „Sie waren mit uns bei der Stadt, haben Gespräche geführt und Elternabende veranstaltet“, erinnert sich Marie; bis ihr Bauernhofkindergarten in den Bedarfsplan der Stadt für Kitaplätze aufgenommen wurde.
2Ein Bauernhofkindergarten ist keine Goldgrube und auch keine Gelddruckmaschine. „Manche machen sich Illusionen, dass die Eltern viel im Hofladen einkaufen würden oder dass sie eine hohe Pacht verlangen könnten“, meint Marie. Und es bedeutet, dass jeden Tag die Kinder und ihre Familien auf dem Hof sind und auch die unschönen Seiten des Hoflebens mitbekommen, wenn Tiere geschlachtet werden oder der Hof voller Mist ist. „Die Kinder sind jeden Tag da, dessen muss man sich bewusst sein“, rät Marie. Unter anderem kann das bedeuten, dass Arbeitsabläufe angepasst werden müssen. Zum Beispiel darf zu den Bring- und Abholzeiten der Kinder aus Sicherheitsgründen kein Traktor auf dem Hof fahren.
Für Marie und ihre Mutter schafft die Kita ein sicheres Einkommen, denn sie sind im Kindergarten als Erzieherinnen angestellt. Das ist aber nur möglich, weil sie ausgebildete Pädagoginnen sind. Üblich ist es sonst, dass Landwirte stundenweise als Aushilfe im Kindergarten arbeiten und die Kinder ab und zu bei ihrer Arbeit mitnehmen. Aus Maries Sicht braucht es deshalb Erzieherinnen, die an Landwirtschaft interessiert sind und gerne mit den Kindern in den Stall oder auf’s Feld gehen, damit das Konzept Bauernhofkindergarten gelingt.
Wir wollten, dass es Kinder gibt, die jeden Tag hier herkommen und quasi eine Bauernhofkindheit haben Marie Owens
Der Kindergarten ist nicht das einzige pädagogische Projekt auf dem Tiggeshof. Marie und ihre Familie bieten weiter Kindergeburtstage an, Ferienprogramm, Jahreskurse, bei denen Kinder ein Jahr lang etwa einmal im Monat auf den Hof kommen und so den Jahresverlauf in der Landwirtschaft kennenlernen können. Das Angebot ist in der Region bekannt und beliebt: „Wenn Schulklassen bei uns zu Besuch sind und ich frage, wer schon mal hier war, gehen fast alle Hände hoch, weil uns auch Kindergartengruppen regelmäßig besuchen“, sagt Marie. „Man wird davon nicht reich, aber man kann davon leben“, lautet das Fazit der 33-Jährigen, „und es gehört schon auch Idealismus dazu.“
Seit 2021 gibt es die Gemüsegärtnerei in Form einer Solidarischen Landwirtschaft auf dem Tiggeshof. Auf 5.000 m2 wird aktuell Gemüse für 140 Ernteteiler angebaut, im Freiland und in Folientunneln. Von Gurken, über Salate und Tomaten – Marie hat sich in den vergangenen Jahren Gemüse-Know-how aufgebaut. Fast jede freie Minute verbringt sie damit, die Flächen vorzubereiten, damit die angestellten Gärtnerinnen das nicht machen müssen. Bei der Ernte bekommt Marie Unterstützung von ihren zwei Schwestern. Damit es sich wirtschaftlich für den Hof lohnt, zahlen sie sich für das Ernten, Packen und Ausliefern der Kisten einen Lohn aus.
Die Pädagogik und die Gärtnerei sind heute die größten Betriebszweige des Hofes. Für die kommende Zeit hat sich Marie das Motto „Fokus“ gesetzt. „Die vergangenen fünf Jahre haben wir viel Aufbauarbeit geleistet, das soll sich jetzt erstmal alles etablieren. Wir wollen uns konzentrieren auf das, was da ist.“ Eine weitere Kindergartengruppe ist deshalb erstmal nicht geplant. Beim Gemüse wird aber weiterhin jedes Jahr etwas Neues ausprobiert. Dieses Jahr: Melonen.
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