
Das Unsichtbare sichtbar machen
Schäden an Gemüsekulturen erkennen, bevor Symptome sichtbar werden, dazu dient ein Projekt des JKI. Zum Einsatz kommt dabei die Technik der Hyperspektralbildgebung.
von Yukiko Nakamura und Dr. Elias Böckmann erschienen am 09.07.2025Tomaten gehören zu den am weitesten verbreiteten Gemüsearten der Welt. Frische Tomaten und Tomatenprodukte sind nicht nur ein fester Bestandteil unserer Ernährung – sie sind auch eine wichtige Einkommensquelle für viele landwirtschaftliche Betriebe. Doch nicht nur wir Menschen lieben Tomaten – auch Schädlinge und Krankheiten befallen sie gerne. Schätzungen gehen davon aus, dass ohne geeignete Pflanzenschutzmittel (PSM) etwa 20 % der Industrietomaten-Ernte jeweils durch Schädlinge und Krankheiten verloren geht.
Innovative Lösungen für einen modernen Pflanzenschutz
Ganz im Sinne des integrierten Pflanzenschutzes (IPM) und einer nachhaltigen Landwirtschaft wollen die Europäische Union (EU) mit der „Farm to Fork“-Strategie sowie die Bundesregierung mit dem Nationalen Aktionsplan (NAP) den Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzprodukte in der Landwirtschaft reduzieren. Es braucht also neue Ansätze, um Pflanzen weiterhin effektiv zu schützen. Das wirft die wichtige Frage auf: Wie können wir Tomaten vor Schädlingen und Krankheiten schützen – mit weniger chemisch-synthetischen PSM?
Oberhalb von 700 nm zeigen gesunde Pflanzen eine höhere Reflexion im Vergleich zu befallenen Pflanzen Dr. Elias Böckmann
Zur Beantwortung dieser Frage setzt ein Forscher-Team des Instituts für Pflanzenschutz in Gartenbau und urbanem Grün am Julius Kühn-Institut (JKI) auf eine hochmoderne Technologie: die Hyperspektralbildgebung. Gemeinsam entwickeln das JKI, die HAIP Solutions GmbH und die Wolution GmbH & Co. KG ein automatisiertes Überwachungssystem, das erste Anzeichen von Stress durch Schädlinge oder Krankheiten erkennen kann – noch bevor Schäden mit bloßem Auge sichtbar werden. Dabei soll aber nicht einfach Stress erkannt werden, sondern die Stressymptome direkt den wichtigsten Verursachern – also den Schadorganismen – zugeordnet werden.
Diese Arbeit findet im Forschungsprojekt „Entwicklung einer hyperspektralen Messplattform zur Schadsymptomerkennung im geschützten Tomatenanbau (EMSig)“ statt, gefördert vom Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat.
Was ist Hyperspektralbildgebung?
Pflanzen absorbieren, reflektieren und transmittieren Licht. Menschen können nur den reflektierten Anteil im sichtbaren Bereich (380 bis 700?nm) sehen. Die im Projekt verwendete Hyperspektralkamera hingegen erfasst ein viel breiteres Spektrum – von 400 bis 1000?nm – und liefert dadurch wesentlich detailliertere Informationen über den Zustand einer Pflanze.

In der Abbildung sind drei Tomatenblätter zu sehen – ein gesundes, ein von Tomatenrostmilben befallenes und eines mit Befall der Weißen Fliege. Im RGB-Bild sind keine Unterschiede zu erkennen. Doch die visualisierten Reflexionsdaten zeigen deutliche Unterschiede: Im Nah-Infrarot-Bereich (NIR) oberhalb von 700?nm zeigen gesunde Pflanzen eine höhere Reflexion im Vergleich zu befallenen Pflanzen, weil ihre Zellstrukturen intakt und gut organisiert sind. Gesunde Pflanzen besitzen ein gut strukturiertes Mesophyll, das aus Schwammgewebe besteht, welches infrarotes Licht stark streut.
Diese Streuung führt dazu, dass mehr Infrarotlicht reflektiert wird. Wenn Pflanzen befallen sind, beispielsweise durch Schädlinge, wie Tomatenrostmilben oder Weiße Fliegen, werden die Zellstrukturen gestört oder beschädigt. Diese Störungen verringern die Fähigkeit der Pflanzen, Infrarotstrahlung zu streuen, was zu einer geringeren Reflexion im NIR-Bereich führt. Daher ist die Reflexion im NIR-Bereich ein Indikator für die Gesundheit der Pflanzen, wobei gesunde Pflanzen eine höhere Reflexion aufweisen als befallene oder geschädigte Pflanzen.
Was ist das Ziel des EMSig-Projekts?
Hyperspektralbildgebung ist somit ein leistungsstarkes Werkzeug zur Zustandsüberwachung von Pflanzen. Das Ziel des EMSig-Projekts ist es, diese Technologie praxistauglich für den Gewächshausanbau zu machen. Im Rahmen des Projekts werden vier verschiedene Tomatensorten getestet, die gezielt folgenden Stressfaktoren ausgesetzt werden:
- Tomatenrostmilbe (Aculops lycopersici): saugende Milbe
- Gewächshaus Weiße Fliege (Trialeurodes vaporariorum): saugendes Insekt
- Tomatenminiermotte (Tuta absoluta) und Minierfliege (Liriomyza bryoniae): minierende Insekten
- Echter Mehltau (Leveillula taurica), und Samtfleckenkrankheit (Passalora fulva): Blattkrankheiten
- Trockenstress: Referenz für abiotischen Stress
Die Vision der Forscher ist einfach: Pflanzenüberwachung nahtlos in den Gewächshausalltag integrieren – ohne Mehraufwand. Derzeit wird erprobt, unter welchen Bedingungen im Gewächshaus die Messungen aussagekräftig sind. Dabei wird mit unterschiedlichen Szenarien wie Messungen am Tag, mit und ohne Schattierung, aber auch Nachtmessungen gearbeitet. Das Team hofft auf Basis der Tagmessungen aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, um ein System anbieten zu können, das in laufende Arbeitsprozesse und Equipment integriert werden kann. Das Endsystem soll entsprechend kompakt, tragbar und an gängige Geräte im Gartenbau anschließbar sein, wie zum Beispiel den Rohrschienenwagen.
Wir freuen uns auf Betriebe, die dieses innovative System ausprobieren möchten Yukiko Nakamura
Während der Wagen bei Standardarbeiten wie dem Wickeln und Ausgeizen durch die Reihen fährt, erfassen zeitgleich Hyperspektralsensor und RGB-Kamera die Daten. Am Ende jeder Reihe analysiert das System die Reflexionsdaten und RGB-Bilder und sendet eine Übersicht des Pflanzenzustands direkt auf eine Smartphone-App. Keine zusätzliche Arbeit für das Personal – aber zusätzlich eine bessere und schnellere Überwachung des Pflanzenzustandes. So kann die Pflanzenüberwachung in einem Arbeitsschritt mit Kulturpflegemaßnahmen und damit effizienter erfolgen.
Bereiche, an denen Schadsymptome detektiert wurden, können gezielt von geschultem Personal inspiziert sowie passende und räumlich begrenzte Pflanzenschutzmaßnahmen durchgeführt werden. Somit liegt der Vorteil des geplanten Überwachungssystems nicht nur in einer möglichen früheren Erkennung von Schadorganismen durch die Hyperspektraltechnologie, sondern auch in einer flächendeckenden Erfassung des Pflanzenbestandes ohne zusätzlichen Personaleinsatz. Dadurch werden frühere und gezieltere Pflanzenschutzmaßnahmen und ein reduzierter PSM-Einsatz möglich.
Aktuell wird in den Versuchsgewächshäusern des JKI daran gearbeitet, das System im Gewächshaus für die oben genannten Schädlinge und Krankheiten zu etablieren. Interessierte Tomatenproduzenten sind herzlich eingeladen, gemeinsam mit dem JKI den Prototypen zu testen, sobald er einsatzbereit ist. Wenn Sie Interesse haben – melden Sie sich!
- Yukiko Nakamura: yukiko.nakamura@julius-kuehn.de, Tel. 03946/47-7796
- Dr. Elias Böckmann: elias.boeckmann@julius-kuehn.de, Tel. 03946/47-7729
Literaturhinweise sind bei den Autoren erhältlich.
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