
Bedeutung der Sortenvielfalt für die Ernährung
Die Vielfalt unserer Kulturpflanzen ist eine wichtige Grundlage für eine sichere und ausgewogene Ernährung. Sie ermöglicht die Entwicklung neuer Sorten, verringert Ernteausfälle, erhöht die Widerstandsfähigkeit gegenüber Umweltveränderungen und ist Teil der kulturellen Identität.
von Vanda Púciková erschienen am 21.08.2025Das Projekt „SharpGreens“ zeigt, welchen Wert die genetische Vielfalt von Gemüsekohl hat, sowohl für die Entwicklung gesünderer Lebensmittel als auch für einen nachhaltigen Gemüsebau. Gleichzeitig verdeutlichen die bisherigen Ergebnisse, dass gesundheitlich relevante Eigenschaften bislang kaum im Fokus der konventionellen Sortenentwicklung standen. Durch die Kombination aus Inhaltsstoffanalysen, genetischer Charakterisierung, Feldversuchen und Humanstudie sowie durch eine aktive Wissenschaftskommunikation leistet das Projekt einen Beitrag zur Nutzung der Sortenvielfalt und Verbesserung eines der beliebtesten Lebensmittel.
Genetische Vielfalt enorm wichtig
Ein erheblicher Teil der Sortenvielfalt ist in den vergangenen Jahrzehnten durch die Globalisierung der Saatgutmärkte und die züchterische Konzentration auf wenige ertragreiche Kultursorten in den Hintergrund geraten. Besonders betroffen sind alte Sorten, Landsorten und Wildformen, die oft wertvolle genetische Ressourcen für Resilienz, Geschmack und Inhaltsstoffe bieten. Der Rückgang der Sortenvielfalt bedeutet, dass immer weniger unterschiedliche Merkmale in unseren Kulturpflanzen vorhanden sind. Diese genetische Vielfalt ist jedoch entscheidend, damit Pflanzen sich an das sich verändernde Klima oder neue Schädlinge und Krankheitserreger anpassen können.
Genetische Vielfalt ist entscheidend, damit Pflanzen sich anpassen können Vanda Púciková
Treten etwa extreme Wetterereignisse oder neue Schaderreger auf, haben wir ohne genetische Vielfalt weniger Möglichkeiten, geeignete, resistente Pflanzen zu entwickeln. Gleichzeitig kann der Verlust der genetischen Vielfalt in Kulturpflanzen auch das Potenzial, qualitative Lebensmittel mit einem hohen Nährwert zu erzeugen, reduzieren. Genau hier setzt das Forschungsprojekt „SharpGreens“ mit dem Fokus auf Gemüsekohl (Brassica oleracea) am Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) in Großbeeren an. Die gesundheitlichen Vorteile von Gemüsekohl sind schon lange bekannt, auch die Suche nach nährstoffreichen Pflanzensorten ist kein neues Konzept. „SharpGreens“ aber hat einen umfassenden, interdisziplinären Fokus auf Biodiversität, Gesundheit und Ernährung, der im deutschsprachigen Raum einzigartig und in dieser Form international noch relativ selten ist.
Gemüsekohl mit Mehrwert
Brassica oleracea umfasst zahlreiche Gemüsekohlvarietäten, wie zum Beispiel Brokkoli, Blumenkohl, Grünkohl, Rosenkohl, sowie verschiedene Kopfkohl-Sorten. Sie zeichnen sich durch hohe Gehalte an Vitaminen, Mineralstoffen und Ballaststoffen aus und haben eine beeindruckende Vielfalt an sekundären Pflanzenstoffen, insbesondere den Senfölglykosiden. Diese Verbindungen und ihre Abbauprodukte sind nicht nur für den typischen Geschmack und Geruch von Kohl verantwortlich, sondern zeigen auch gesundheitsfördernde Eigenschaften.
Senfölglykoside werden beim Zerkleinern des Gemüses enzymatisch in bioaktive Senföle umgewandelt, die im Fokus der Ernährungsforschung stehen. Studien zeigen, dass bestimmte Senföle wie Sulforaphan, das vor allem in Brokkoli enthalten ist, das Risiko für chronisch-entzündliche Erkrankungen sowie bestimmte Krebsarten senken können. Außerdem, wirken Senföle antioxidativ und können das Wachstum von Tumoren hemmen.
„SharpGreens“ zeigt, dass die Profile und Mengen der Senfölglykoside stark zwischen den Gemüsekohlsorten variieren. Dies ist eine Folge genetischer Unterschiede, die im Projekt untersucht werden. Die Integration von Inhaltsstoffprofilen, genetischen Markern und agronomischen Daten soll eine gezielte Selektion von Linien mit hohem Gesundheitswert ermöglichen. Ein Ziel des Projekts ist es, diese Vielfalt für Züchtung und Anbau nutzbar zu machen und konkrete Impulse für den professionellen Gemüsebau zu liefern.
Gerade im Kontext des wachsenden Interesses für gesunde Ernährung, nachhaltige Landwirtschaft und Regionalität ergeben sich neue Chancen für Sorten, die vielleicht weniger ertragreich sind oder einen anspruchsvolleren Anbau erfordern, dafür aber ein besonderes Inhaltsstoffprofil besitzen. Die Vermarktung von Sorten mit gesundheitsfördernden Eigenschaften oder Produkten daraus bietet Potenzial für die Ernährungswirtschaft. Des Weiteren stellt der Anbau genetisch vielfältiger Sorten einen aktiven Beitrag zum Erhalt der Agrobiodiversität dar.
Große Unterschiede im Gesundheitswert
In „SharpGreens“ wurden zunächst 317 Sorten aus sieben Gemüsekohl-Varietäten (Rotkohl, Weißkohl, Wirsing, Kohlrabi, Grünkohl, Blumenkohl und Chinesischer Brokkoli) auf die sekundären Inhaltsstoffe untersucht. Die Sorten stammen hauptsächlich vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben. Das IPK erhält in seiner Genbank pflanzengenetische Ressourcen, die sowohl der Erhaltung genetischer Vielfalt als auch der zukunftsorientierten Züchtung als Ausgangspunkt dienen. Die Mehrheit der untersuchten Sorten stammt aus Europa, jedoch wurden auch Sorten aus dem Nahen Osten, China, Japan und den USA in die Untersuchungen einbezogen.
Die ältesten dieser Sorten wurden bereits in den Fünfzigerjahren in die Genbank aufgenommen, während andere im Laufe der folgenden Jahrzehnte, bis heute ergänzt wurden. Die Ergebnisse der Metabolitanalysen zeigten erhebliche Unterschiede im Gehalt und in der Zusammensetzung gesundheitsrelevanter Inhaltsstoffe zwischen den untersuchten Gemüsekohl-Sorten. Bemerkenswert war auch die große Bandbreite an Senfölglykosiden zwischen den verschiedenen Kohlsorten. Besonders hervorzuheben ist das hohe Potenzial der Kohlrabisorten zur Bildung gesundheitsfördernder Senföle.
Die Mehrheit der kommerziellen Sorten, die als Vergleichsmaterial untersucht wurden, beinhaltete durchschnittliche bis niedrige Gehalte an Senfölglykosiden, verbunden mit einer reduzierten Bildung von Senfölen. Dies könnte darauf hinweisen, dass im Rahmen konventioneller Züchtung bislang wenig Fokus auf den Erhalt oder die Anreicherung gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe gelegt wurde. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass sich das gesundheitsfördernde Potenzial verschiedener Kohlsorten deutlich unterscheidet, insbesondere durch Unterschiede im Abbauverhalten der schwefelhaltigen Inhaltsstoffe.
Das gesundheitsfördernde Potenzial verschiedener Kohlsorten unterscheidet sich deutlich Vanda Púciková
Wirkung auf die menschliche Gesundheit
Im nächsten Schritt wird das gesundheitsfördernde Potenzial der Gemüsekohl-Vielfalt und ihre konkreten Wirkungen im menschlichen Körper untersucht. Aus den vielen untersuchten Sorten wurden 24 mit besonders vielversprechendem Muster an Senfölen für eine Humanstudie ausgewählt und vier Diäten entwickelt, die sich im Gehalt an Senfölen sowie der Vielfalt an enthaltenen Kohlsorten unterscheiden. Im Rahmen dieser Studie wird nun untersucht, welche Effekte diese Unterschiede auf die Gesundheit und die Funktion des menschlichen Darmmikrobioms haben.

Die Studie wird an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg unter der Leitung von Prof. Dr. Evelyn Lamy durchgeführt. Damit sollen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie sich Gemüsekohlvielfalt in der Ernährung auf Darmmikrobiom-Profile, Biomarker entzündlicher Erkrankungen sowie weitere gesundheitsrelevante Parameter auswirken. Die Studie liefert somit einen wichtigen Beitrag zur Frage, wie unsere Gesundheit durch gezielte Auswahl von Sorten mit spezifischem Inhaltsstoffprofil gefördert werden kann.
Ein wichtiges Anliegen des Projekts ist es, die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Öffentlichkeit zugängig zu machen. Aus diesem Grund nutzt das Forschungsteam verschiedene Kanäle, um Menschen aus möglichst vielen Zielgruppen zu erreichen. Mit einem eigenen Instagram-Kanal (@kohlkosmos) werden die Forschungsthemen anschaulich für ein digitales Publikum aufbereitet. Darüber hinaus wird die Forschung auf regionalen Publikumsmessen und bei Formaten wie dem Potsdamer Tag der Wissenschaften, der Langen Nacht der Wissenschaften in Berlin oder der Berlin Science Week präsentiert, um die Arbeit für ein interessiertes Publikum unmittelbar erlebbar zu machen.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit sind Führungen für Schulkinder und Studierende auf den Versuchsflächen. Auf Feldtagen werden Fachleuten aus der Pflanzenforschung und dem Gemüsebau die Projektthemen vorgestellt. Am 26. September 2025 (Anmeldeschluss 12. September) lädt das IGZ zum nächsten Feldtag ein. Weitere Informationen gibt es unter www.igzev.de.
Mit dieser breit aufgestellten Kommunikationsstrategie trägt „SharpGreens“ dazu bei, Forschungsergebnisse nachhaltig in die Gesellschaft zu tragen, Wertschätzung für pflanzengenetische Vielfalt zu fördern und Impulse für bewusste Ernährung, nachhaltige Landwirtschaft und Sortenvielfalt zu setzen.
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.