
Vom Abfall zur Gemüseinnovation
Können Produkt-Innovationen helfen, wenn der Gemüse-Absatz hakt? Kaufen Verbraucher tatsächlich mehr Gemüse, wenn dieses in einer innovativen Angebotsform auf der Ladentheke steht? Dieser und weiteren Fragen geht derzeit die Hochschule Osnabrück auf den Grund.
von Dr. Gisela Fischer-Klüver erschienen am 22.08.2025Ist es sinnvoll, mit Gemüseinnovationen am Markt zu punkten? Oder greifen die Verbraucher lieber zu alt Bekanntem? Um das Potenzial von Gemüseinnovationen einzuschätzen, helfen Erkenntnisse aus der Verbraucherforschung. Das wunderliche Wesen der Verbraucher beleuchtete Prof. Dr. Ulrich Enneking, Hochschule Osnabrück, mit Erkenntnissen am Profi-Tag Gemüsebau vergangenen Winter in Hannover-Ahlem.

Zunächst einmal gibt es unterschiedliche Motivationen, ein Produkt zu kaufen. Hinter den hedonistischen Motiven steht Genuss, Vergnügen, Vielfalt, Convenience, auch die ganzjährige Verfügbarkeit ist hier gefragt. Wer Nachhaltigkeitsmotive verfolgt, möchte Plastik vermeiden, wenig Abfälle produzieren und nimmt flexible Kopfgrößen beispielsweise beim Salat gerne an. Impulse aus der Politik zielen auf weniger Treibhausgas-Emissionen, weniger Nitrat und ebenfalls weniger Verluste. Je mehr Motivationen auf ein Produkt passen, desto einfacher ist es, dieses Produkt zu verkaufen.
Verluste Minimieren
Die vorgestellten Untersuchungen basieren auf zwei Forschungsprojekten zu Gemüseinnovationen mit dem Ziel, Verluste und negative Umweltauswirkungen zu minimieren. In dem Projekt REVIEW unter Leitung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen galt es herauszufinden, wie sich eine um 20 % reduzierte N-Düngung auf die Vermarktungsqualität von Gemüse, die Reaktion der Konsumenten und die Reduzierung der Lebensmittelverluste durch volle Ausschöpfung der Vermarktungsnormen auswirkt. Markttests fanden in Zusammenarbeit mit Edeka-Märkten statt.
Das Top-Argument für Verbraucher heißt „Lebensmittelverluste senken“ Prof. Dr. Ulrich Enneking
Normabweichungen können sich tendenziell negativ auf den Verkauf auswirken, der Effekt sei jedoch gering. Negative Verkaufseffekte lassen sich durch gezielte Informationen am Verkaufsort ausgleichen oder gar überkompensieren. Insgesamt hängen die Verkaufseffekte stark von der Kultur und Art der Qualitätsabweichung ab. „Die Akzeptanz von weniger gedüngtem Gemüse ist auch von den Einkaufenden beziehungsweise der sozioökonomischen Struktur im Marktumfeld abhängig“, sagte Enneking.
Sein Fazit aus dem REVIEW-Projekt: Verbraucherinnen und Verbraucher sind prinzipiell offen für weniger gedüngtes Gemüse – ein vollständiger Systemwechsel erfordert zuvor jedoch eine detaillierte Zielgruppenforschung und eine Optimierung der Rahmenbedingungen, insbesondere im Marketing.
Brokkoli als Blattgemüse
Das von Prof. Dr. Diemo Daum, Hochschule Osnabrück, beantragte Projekt ErnteWert befasst sich mit der Verwertung ganzer Brokkolipflanzen zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendungen sowie negativen Umwelt- und Klimaauswirkungen. Bereits erfolgte Verbraucherbefragungen sollen in Kombination mit noch durchzuführenden Markttests eruieren, ob Verbraucher die neuen Produkte aus Brokkoliblättern wie Wraps, Pesto, Suppe, Smoothie oder als Grünkohlersatz überhaupt kaufen. Der entworfene Slogan „Brokkoli voll und ganz genießen“ kam bei Verbrauchern am besten an im Vergleich zu „Brokkoli – auch als Blattgemüse lecker & gesund“ und „Brokkoli – rundum ein voller Genuss“.
Doch ganz so einfach ist es nicht. Zum einen sind die Pflanzenschutzmittelgrenzwerte für Brokkoli-Blätter nicht definiert. Auch muss die Erntetechnik an die neuen Vermarktungsoptionen angepasst werden. Enneking beschrieb Produktentwicklung als komplexen Prozess in der gesamten Wertschöpfungskette, „der eine handelt nur, wenn der andere ja gesagt hat“. Zwischen unterschiedlichen Strategieoptionen gilt es zu entscheiden. Soll viel Brokkoliblattmasse in dem Neuprodukt enthalten sein oder weniger Blattmasse, aber dafür mit einem höheren Marktpotenzial?
Die Untersuchungen hätten gezeigt, dass das Konzept prinzipiell ankommt, es muss aber noch optimiert werden. Insbesondere bebilderte Wraps haben das größte Marktpotenzial. Das Top-Argument für Verbraucher heißt „Lebensmittelverluste senken“. Slogans sollen kurz und trotzdem aussagekräftig sein.
Wer mit dem Gedanken spielt, eine Gemüseinnovation auf den Markt zu bringen, sollte einen Multimethodenansatz der Akzeptanzforschung wählen. Nach Prüfung der technologischen und organisatorischen Machbarkeit wird ein Prototyp erstellt und an Verbrauchern getestet, bevor ein umfangreicherer Markttest in die Wege geleitet wird, um die Prozesse in der Kette zu testen und das Marktpotenzial abzuschätzen.
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