Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Online-Veranstaltung "Focus Inner Circle"

Ernährung und Landwirtschaft von morgen

„Focus Inner Circle“ nennt sich die exklusive Veranstaltungsreihe vom Magazin Focus, die mit hochkarätigen Teilnehmern relevante Themen unserer Zeit wie die Ernährung und Landwirtschaft von morgen beleuchtet.

Veröffentlicht am
/ Artikel kommentieren
Die Diskussionsrunde im Rahmen von „Focus Inner Circle“ fand online statt.
Die Diskussionsrunde im Rahmen von „Focus Inner Circle“ fand online statt. Fischer-Klüver
Artikel teilen:

Die Plattform „Focus Inner Circle“ für spannende Themen und relevante Fragen unserer Zeit ging am 18. Januar 2021 in einer online Veranstaltung der Frage nach, wie nachhaltige und moderne Landwirtschaft aussehen kann. Focus Chefredakteur Robert Schneider diskutierte mit der deutsch-österreichischen TV-Starköchin und EU-Abgeordneten Sarah Wiener und Liam Condon, Mitglied des Vorstands der Bayer AG und Leiter der Division Crop Science, über unsere Ernährung und Landwirtschaft von morgen und was uns die Corona-Pandemie gezeigt hat.

In Deutschland wurde viel mehr zuhause mit frischen Zutaten gekocht als vor der Corona-Pandemie. „Ein sehr positiver Trend, der hoffentlich anhalten wird“, so Condon. Viele andere Länder litten unter Logistik bedingen Engpässen bei der Versorgung. Die Lieferketten funktionierten schlecht und Nahrungsmittel waren Mangelware.

Mit frischer Ernährung den Darm stärken

Wer sich gegen Corona wappnen will, sollte auf eine abwechslungsreiche Ernährung aus frischen Zutaten mit viel Gemüse achten, die essenziell für eine gute Gesundheit und Lebensqualität ist und das Immunsystem stärkt. Sarah Wiener berichtete über einen seit rund zehn Jahren aktiven Forschungszweig zu unserem Mikrobiom, das Innere unseres Darms. Das gesamte Genom der Darm-Mikrobiota umfasst etwa 10- bis 100-mal so viele Gene wie das menschliche Genom. „Wir haben mehr Fremdlebewesen in uns als eigene Zellen und sind gut beraten, diese lebendig zu halten und richtig zu füttern, um unsere Systeme wie das Hormon- oder Blutsystem zu unterstützen und gesund zu bleiben“, erklärte Wiener die Notwendigkeit einer vielfältigen, frischen und lebendigen Ernährung.

„Heute weiß man, dass schlechte Ernährung sogar Parkinson oder Depressionen verursachen oder fördern kann“, erklärte sie die sehr komplexe Sachlage. Unsere heutigen stark verarbeiteten und mit Umweltgiften belasteten Nahrungsmittel hätten uns so krank gemacht hat, wie wir heute sind. Krankheiten wie Altersdiabetis bei Kindern, Fettsucht oder Darmkrankheiten wie Morbus Crohn gab es früher nicht. „Viele Wissenschaftler sagen, dass der Grundpfeiler, diesen Krankheiten entgegen zu treten, die richtige Ernährung ist“, so Wiener, für die unsere heute ungesunde Ernährung ein Spiegel dessen darstellt, was zurzeit mit den Böden und der immer weiter verarmenden Bodenbiologie geschieht – durch mineralische Dünger, chemischen Pflanzenschutz und Bodenverdichtung.

Doch wie ernähren wir die Welt?

Das sind gewiss Punkte, mit denen Firmen wie Bayer immer wieder konfrontiert werden. Die große Frage ist, wie ernähren wir die steigende Weltbevölkerung, ohne den Planeten kaputt zu machen. „Ich persönlich glaube, das ist die größte Herausforderung, die wir überhaupt haben“, so Condon. Die Bevölkerung wächst und gleichzeitig verringert sich die zur Verfügung stehende Ackerfläche von Jahr zu Jahr. In Deutschland verlieren wir 60 ha pro Tag, weltweit 10 Mio. ha pro Jahr. Deswegen setzt Bayer sich für eine nachhaltige Intensivierung, eine nachhaltige Landwirtschaft ein, um mehr auf weniger Fläche mit geringerem Input zu produzieren. Das lasse sich nur in Kombination mit gesunden Böden und Innovationen realisieren. „Gesunde Böden sind essenziell genau wie das Mikrobiom für den Menschen“, meinte Condon.

Die sicher auch durch die Corona-Pandemie beschleunigte Digitalisierung inklusive ihrer Akzeptanz sei ein wesentlicher Baustein für fortschrittliche Landwirtschaft. Die Digitalisierung ermöglicht präziseres Arbeiten, um beispielsweise Pflanzenkrankheiten zielgenau zu bekämpfen, und spart gleichzeitig Dünge– und Pflanzenschutzmittel ein.

Als weiteres Beispiel für Innovationen führte Condon die in Deutschland weitgehend verpönte Biotechnologie an. Genmodifizierte Nahrung ist ein Reizwort in Deutschland, gleichzeitig sehnen sich viele nach dem genmodifizierten Corona-Impfstoff. Eine Technologie, die für den Menschen eingesetzt wird, wird für den Einsatz bei Pflanzen durch die Bevölkerung viel kritischer hinterfragt.

Dabei ließen sich mit Hilfe der Biotechnologie klimatolerantere und gegenüber Krankheiten und Schädlingen resistentere Pflanzen züchten.

Nachhaltig ohne Chemieeinsatz produzieren

Sarah Wiener propagiert keine gesteigerte Produktion, sondern stabilere, nachhaltige Produktionssysteme. Sie wies zudem auf die enorme Verschwendung von Energieressourcen hin, die durch die Produktion von chemischen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln verursacht würden. Kaum ein Thema seien die Depots der Restmengen.

Wiener sieht die Lösung in einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Landwirtschaft, „die gar keinen giftigen Input benötigt“, nämlich die ökologische Landwirtschaft. Auf kleineren Fläche wird intensiver produziert. Dazu zählt das Mikrofarming, eine biointensive Landwirtschaft, die bereits in Frankreich durchgeführt wird. Auf 1.000 m² wird drei- bis viermal so viel geerntet ohne „harte Technik“, mit manueller Arbeit und 70 verschiedenen Pflanzenarten, die sich gegenseitig in der Balance und Gesundheit halten und zusätzlich noch die Bodenfruchtbarkeit aufbauen. Dies sei nicht für jeden Boden oder jedes Klima geeignet, aber es gebe für jeden Boden und jedes Klima natürliche, ökologische Anwendungsbeispiele wie Permakultur, Agroforstsysteme, Waldweiden oder Nutzung von Terrapreta. Es bestünden bereits viele Möglichkeiten, über die kaum geredet wird. „Wenn die Agroindustrie argumentiert, wird lediglich konventionelle kontra Bio-Landwirtschaft in großem Industriestil gegenübergestellt. Ich denke, wir benötigen eine radikale Landwirtschafts- und Ernährungswende hin zu einem nachhaltigen Modell, so dass unsere Nachkommen auch noch eine Chance haben“, so Wiener.

Das Hungerproblem auf der Welt basiere weniger in fehlenden Kalorien der produzierten Nahrung. „Wir könnten heute schon 12 Mrd. Menschen ernähren“, so die Expertin, die vielmehr immense Probleme durch die oft politisch bedingte Verschwendung und Verteilung als Ursache sieht. Es bestünden weltweit Probleme mit Korruption und kleinbäuerlichen Rechten.

Sie kritisierte die von der Bill & Melinda-Gates-Stiftung und der Rockefeller Foundation gegründete „Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika“ (Agra), die fast eine Mrd. US-Dollar an Zuschüssen erhielt und sich unter anderem in der landwirtschaftlichen Entwicklungshilfe engagiert. Mit weiteren Partnern wie auch der Deutschen Bundesregierung wurde eine Agrar-Allianz für eine grüne Revolution in Afrika ins Leben gerufen. Afrikanische Länder hätte man einer enormen Lobbyarbeit ausgesetzt, Kleinbauern quasi gezwungen, nur bestimmte Arten und Sorten anzubauen und bestimmte chemische Mittel zu nutzen, um den dortigen Hunger zu bekämpfen.

„2013 ist Agra angetreten mit großartigen Versprechungen, bis 2020 den Hunger um 50 % zu reduzieren und das Einkommen von 30 Mio. Kleinbauern zu verdoppeln. Jetzt ist feststellbar, dass Agra klammheimlich vor einem halben Jahr diese Ziele gestrichen und keine Evaluierung durchgeführt hat“, kritisierte Weiner. Gleichzeitig habe sich die Anzahl der Hungernden um 30 Mio. erhöht.

Wenn wir einen Beweis benötigen, dass Agroindustrie für die meisten Länder nicht funktioniert, sondern im Gegenteil die Kleinbauern abschafft und Böden zerstört, dann sei es diese afrikanische Revolution, die sich mit viel Wissen, Freude und Geld gerade zu einem Desaster in Afrika ausgewachsen habe.

Voneinander lernen

„Alle Arten der Landwirtschaft können voneinander lernen“, erwiederte Condon, „die konventionellen sicher von mehr Nachhaltigkeit vom Bio-Bauern und umgekehrt können Bio-Bauern sicher mehr über Produktivität lernen“. Man müsse nachhaltig und produktiv zugleich sein. Condon stimmt für eine wissenschaftsbasierte Agrarwende, die Nachhaltigkeit und Produktivität gleichermaßen berücksichtigt.

Auch er sieht die Gründe für Hunger ebenso in politischen Verhältnissen, Korruption, mangelnder Infrastruktur und nicht funktionierender Märkte. Wesentlich sei, Kleinbauern nicht nur Zugang zu Produktionsfaktoren, sondern auch zu Märkten zu ermöglichen.

In Balance mit der Natur

Wiener bezeichnete es als absurd, nachhaltige, perfekte, ökologisches System der Natur nicht zu nutzen. „Warum sollten wir ein super effizientes System, dass die Fruchtbarkeit des Bodens dauerhaft erhält beziehungsweise steigert, durch chemische Substanzen zerstören und malträtieren?“, fragte sie. Es gäbe keine wissenschaftlich beständige Studie die zeigt, dass das mit Chemie arbeitende Agrosystem nachhaltig wirkt, auch nicht bei Verwendung resistent gezüchteter Sorten. „Alles was die Industrie uns versprochen hat, ging nicht in Erfüllung“, so ihr Vorwurf.

Die neue Gentechnik CrispaCas führt zu weiteren Versprechungen. Allerdings sei das natürlich vorhandene Saatgut, unser aller Welterbe, so groß und vielfältig. Die wenigen großen 75 % des Weltmarktes dominierenden Saatgutkonzerne sollten auf diese Techniken verzichten, die wiederum eine Preissteigerung des Saatguts mit sich führen würde. Durch Patentrechte geben die Bauern ihre Ernährungssouveränität ab und sind an Konzerne gekettet. Das wiederum führt zu einer Schuldenfalle, unter der insbesondere viele Kleinbauern leiden würden, wie bei Agra sichtbar.

Letztendlich würde sogar die Forschung eingeschränkt, da kleineren Züchtern der Markteintritt erschwert würde.

Enorme regulatorische Hürden erfordern Größe

Condon wehrte sich vor einem wahrgenommenen Feindbild einer Industrie, die sich auf die „Giftproduktion“ spezialisiert habe, um viel Geld zu verdienen.

Die Realität sind 100.000 gut ausgebildete Bayer-Mitarbeiter, die daran arbeiten, die Welt zu verbessern. Er wies auf teils mehr als zehnjährige Studien zu Produkten hin, in denen die Vorteile den Risiken überlegen sind.

Die regulatorischen Hürden seien so groß und es dauert extrem lange, alle geforderten Studien durchzuführen, dass nur Firmen mit einer gewissen Finanzkraft das Geforderte leisten können. Condon wäre froh, wenn viel mehr kleinere Firmen hier investieren könnten. „Wir sind groß, weil man heute eine Mindest- oder kritische Masse benötigt, um überhaupt Produkte in den Markt bringen zu können“, erklärte er.

Zusammenarbeit mit Startups

Condon berichtete von der Bayer-Strategie, vermehrt mit kleinen, Startup-Firmen zusammenzuarbeiten.

Seit Jahren sei sichtbar, dass große Pharmaunternehmen mit kleinen Startups zusammenarbeiten. Bestes Beispiel derzeit ist wohl die Zusammenarbeit zwischen Pfitzer und BioNTech als kreatives Unternehmen, das den Corona-Impfstoff entwickelt hat. Bayer arbeitet im Pharmabereich zusammen mit dem Tübinger Impfstoffentwickler CureVac für die Impfstoffentwicklung.

„Auf der Agrarseite sehe ich genau das gleiche Prinzip. Auch wir arbeiten mit vielen Startups zusammen und helfen, dass gute, kreative Ideen auf den Markt gebracht werden können. Einige dieser kleinen Firmen werden später groß, eventuell zu Konkurrenten oder Partnern von uns. Die Zeit wird zeigen, wie es sich entwickelt“, so Condon, der die Zusammenarbeit von Startups und großen Unternehmen als ganz wichtig ansieht.

Der rege Austausch zwischen beiden recht konträren Sichtweisen wurde beidseitig positiv begrüßt und soll fortgeführt werden.

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren