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Interview mit Fred Eickhorst

Die Unsicherheit ist das größte Problem

Interview mit Fred Eickhorst, Geschäftsführer und Vorstandssprecher der Vereinigung der Spargel- und Beerenanbauer e.V., Sandhatten, zur aktuellen Situation der Spargelbetriebe während der Corona-Krise. Da sich die Situation fast stündlich ändert, sind einige Aussagen zur Erntehelfer-Lage bereits jetzt schon überholt. Vor ein paar Stunden wurde nämlich das Einreiseverbot für Saisonarbeitskräfte aus Osteuropa verkündet. Dieses wird die Lage der Gemüsebetriebe in der aktuellen Corona-Krise noch weiter verschärfen. 

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Fischer-Klüver
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Gemüse: Herr Eickhorst, die Spargelsaison beginnt. Wie geht es Ihren Mitgliedsbetrieben jetzt während der Corona-Krise?

Fred Eickhorst: Das größte Problem ist aktuell die Unsicherheit. Wir arbeiten derzeit unsere Problemfälle von Tag zu Tag ab. Das erste Problem der Arbeitskräfte scheint erst einmal gelöst zu sein. Polnische Saison-Arbeitskräfte (SAK) dürfen über die Grenze kommen und Rumänen können hergeflogen werden. Selbst für kleinere Betriebe wird es umgehend über das bundesweit agierende Netzwerk der Spargel- und Beerenanbauer Angebote über Charterflüge geben, die von mehreren Betrieben gemeinsam gebucht werden können. Zum Glück haben wir das Netzwerk der Spargel- und Beerenanbauer rechtzeitig ins Leben gerufen. Ohne dies hätten wir vieles bisher Erreichte nicht erreicht und unsere Mitglieder haben alle davon profitiert. Leider sind die Charterflüge oft teurer als Linienflüge. Anders als Urlaubscharterflüge fliegen diese in der Regel leer zurück und transportieren auch kein Frachtgut.

Gemüse: Sie sagten, die Polen dürfen über die Grenze kommen. Machen diese das momentan auch?

Fred Eickhorst: Das ist genau das nächste Problem. Die ersten Hiobsbotschaften kamen aus dem Arbeitsbereich Pflege. Dort kamen viele polnische Arbeitskräfte nicht mehr zurück nach Deutschland. Auch Pilzfarmen haben ihre Produktion bereits drastisch zurückgefahren mangels polnischer Arbeitskräfte. Jetzt merken auch unsere Betriebe, dass die Polen kaum noch hier arbeiten wollen. Das muss man verstehen. Zum einen können sie nicht mehr kurzzeitig beispielsweise über Ostern nach Hause fahren, ohne vorher erste einmal 14 Tage in Quarantäne zu kommen. Außerdem sind die wirtschaftlichen Lebensbedingungen in Polen deutlich besser geworden. So gibt es beispielsweise mittlerweile dort Kindergeld und eine bessere Krankenversorgung. Die Not, in Deutschland zu arbeiten, ist längst nicht so groß wie bei den Rumänen. Dazu kommen Meldungen aus Deutschland über Ausgangsverbotsdiskussionen, die nicht gerade einladend sind für Erntehelfer.

Gemüse: Funktioniert das Arbeiten mit den großteils Rumänen in den Betrieben?

Fred Eickhorst: Mittlerweile sind 75 bis 80 % der Saison-Arbeitskräfte in den Betrieben Rumänen. In der Vergangenheit nahmen hauptsächlich Polen die Vorabeiterrollen ein. Immer mehr übernehmen dies Rumänen. Die Rumänen wollen herkommen. Das ist leider verbunden mit der Problematik eines hohen Anteils an Analphabeten. Auch gibt es welche, die nie in ein Flugzeug einsteigen werden. Große Betriebe haben bereits Linienflüge für Rumänen gebucht. Das klappt, mit unterschiedlichen Einschränkungen, ganz gut.

Gemüse: Wie sieht es aus bei der Vermarktung von Spargel und Beerenobst?

Fred Eickhorst: Heute sprach ich mit einem abseits gelegenen Betrieb, der bisher zu 75 % seines Spargels an die Gastronomie vermarktet hat. Dieser hat die diesjährige Spargelsaison schon abgehakt. Wie die Vermarktung über Großmärkte laufen könnte, vermag ich derzeit nicht zu sagen. Ich vermute, dass die Direktvermarktung über Hofläden, Verkaufsstände und den LEH gut laufen wird, weil wir zum einen durch den dieses Jahr eingeschränkten Anbau nicht zu viel Spargel haben werden und den Verbrauchern Alternativen wie Gastronomie, Gemeinschaftsküchen oder Kantinen fehlen, da diese alle geschlossen haben. Auch fehlt es den Verbrauchern an Alternativen im Freizeitbereich. Solange das Geld noch ausreicht, wird der Spargelabsatz vermutlich und hoffentlich gut verlaufen. Aber je nach Länge der Krise wird das Geld der Verbraucher einen entscheidenden Faktor spielen und Spargel zuerst von dem Gemüsespeisezettel gestrichen.

Gemüse: Wie schätzen Sie die Lage bezüglich des Verkaufspersonals ein?

Fred Eickhorst: Bisher habe ich noch nichts Negatives gehört, sondern von einer sehr großen Solidarität der Bevölkerung. Aber deutsche Arbeitskräfte wie Studenten, die derzeit nicht zur Universität gehen können und ihre bisherigen Zuverdienstmöglichkeiten in der Gastronomie und weiteren Wirtschaft verloren haben, können wir kaum für Ernteeinsätze nutzen. Wir vermitteln jedoch alle Angebote weiter. Ich vermute, dass wir im Bereich Aufbereitung und Verkauf keinen Personalmangel haben werden.

Gemüse: Zu welchen Hygienemaßnahmen raten Sie sowohl bei der Ernte als auch im Verkauf?

Fred Eickhorst: Wir sind gerade dabei, für die Betriebe ein Tablett mit vielen Maßnahmen zu empfehlen. Die Betriebsstrukturen sind sehr unterschiedlich. Ganz wichtig: Jeder Betrieb muss individuell für sich ein Konzept ausarbeiten. Möglichst viele kleine, völlig voneinander getrennte Arbeitsgruppen sind neben den allgemeinen Hygienemaßnahmen dabei das Allerwichtigste. Denn wenn ein Corona-Fall auftritt, und der wird auftreten, muss die entsprechende Arbeitsgruppe aus dem Arbeitsalltag herausgenommen und unter Quarantäne gestellt werden können. Alle anderen Gruppen müssen weiterarbeiten können. So ein Betriebskonzept könnte beinhalten, dass keiner mehr in den öffentlichen LEH zum Einkaufen geht, sondern eine Versorgung von außen, beispielsweise über einen Lieferservice oder die Einrichtung eines Hofladens für die eigene Versorgung, stattfindet. Andere Betriebe wiederum haben spezielle Öffnungszeiten mit dem LEH nur für die Erntehelfer vereinbart. Die deutschen, abends nach Hause fahrenden Arbeitskräfte dürfen nicht mit den ausländischen Arbeitskräften gemischt arbeiten. Auch der Transport der Erntekräfte muss in kleinen Gruppen realisiert werden. Das Land Niedersachsen empfiehlt laut Verfügung die Unterbringung nach Möglichkeit in Einzelzimmern, eine große Baustelle derzeit. Das kann ich auch nicht so ganz nachvollziehen, denn tagsüber haben die Mitglieder einer Gruppe ohnehin Kontakt. Am Sortierband lassen sich auch die 2-m-Abstände nicht einhalten. Warum dürfen in Krankenhäusern drei Patienten nebeneinander liegen? Gruppenbildung, je kleiner desto besser, macht hingegen Sinn.

Gemüse: Wie wird sich diese Situation auf die Stimmung der Arbeitskräfte auswirken?

Fred Eickhorst: Selbst bei unserer Bevölkerung im Inland, in den Familien, wird es verstärkt zu Problemen kommen. Die Scheidungsraten, häusliche Gewalt und Selbstmordraten werden sich laut Psychologen erhöhen. Die SAK hingegen haben immerhin noch soziale Kontakte bei der Arbeit. Am schlimmsten ist doch die Situation für die, die nicht mehr aus der Haustür gehen (dürfen). Gemeinsame Festivitäten oder Grillabende mit den SAK dürfen nicht mehr stattfinden wie in der Vergangenheit. Das ist natürlich ein Problem, weil Motivation für die Arbeitskräfte wichtig ist.

Gemüse: Wie blicken Sie insgesamt auf die Spargelsaison?

Fred Eickhorst: Die Spargelsaison wird, wie alles andere auch, nach Corona eine andere sein. Das Schlimme ist, ich kann weder für mich noch für unsere Mitglieder einschätzen, ob wir nach zwei Monaten oder erst nach zwei Jahren diese Krise abhaken können. Momentan sind zwei Jahre wahrscheinlicher als zwei Monate.

Gemüse: Aber insgesamt ist die Spargelbranche von der Corona-Krise nicht ganz so negativ betroffen wie andere Industriezweige?

Fred Eickhorst: Ich kann momentan noch nicht einschätzen, wie es weitergeht mit den Kreisämtern, den Verfügungen gegenüber meinen Betrieben zur Unterbringung der Erntehelfer. Das gerade herausgegebene Schreiben vom Land Niedersachsen setzen die Landkreise oft nicht befriedigend um, weil oft auch das Fachwissen zur Umsetzung fehlt. Was ich auch überhaupt nicht einschätzen kann ist die Vorgehensweise der Ämter nach Auftreten eines Corona-Falls in einem Betrieb. Alle Investitionen in die Beschaffung der Arbeitskräfte und Hygienemaßnahmen können an einem Tag zunichte gemacht werden, wenn ganze Betriebe stillgelegt werden.

Gemüse: Welche Hauptfragen stellen die Mitglieder Ihres Vereins derzeit?

Fred Eickhorst: Momentan ist noch die Frage der Anreise der SAK, insbesondere aus Rumänien, das wichtigste Thema. Danach folgt sofort die Frage zur Unterbringung, gefolgt von Fragen zu den erforderlichen Hygienemaßnahmen. Vermarktung ist noch nicht das große Thema.

Gemüse: Was raten Sie den Spargel- und Beerenproduzenten abschließend?

Fred Eickhorst: Jeder für sich sollte sich mit den für ihn passenden Hygieneregeln auseinandersetzen, ein betriebsspezifisches Konzept erstellen und befolgen. Beispielsweise kann in einem Zweischichtbetrieb gearbeitet werden mit einer halben Stunde Pause dazwischen, so dass sich die Menschen der unterschiedlichen Schichten nicht treffen. In den Läden und Verkaufsstellen gilt es alles regelmäßig zu desinfizieren. Dokumentation ist sehr wichtig, damit man im Fall eines Schadens argumentativ gegenüber den Behörden Nachweise der getroffenen Vorsorge bringen kann. Ebenso ist es wichtig, zeitnah zu dokumentieren, welche Ernten und Einnahmen weggebrohen sind. Konnten Felder nicht beerntet werden, sollte das mit Fotos dokumentiert werden. Denn später wird es um Geld, finanzielle Hilfen, gehen.

Das Interview führte Dr. Gisela Fischer-Klüver, Hannover

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